Justin Sullivan (New Model Army) - 16.02.2012

Im Rahmen ihrer Akustik-Tour gastierten Justin Sullivan & Dean White am 16.02.2012 im Maschinenhaus zu Prenzlberg. Der glänzend aufgelegte Sullivan nahm sich vorab Zeit für ein Interview mit Ingo und Mathias für Musikinstinkt. Zu bereden gab’s jede Menge: ein abgebranntes Studio, ein ausgestiegenes (Ex-) Bandmitglied, ...

doch eine Frage interessierte die beiden Interviewer ganz besonders: Justin, du und surfen, wie ist das eigentlich?

„Es ist an der Zeit etwas Neues zu machen“

Ingo: Hallo Justin und danke dass Du dir die Zeit für ein Interview nimmst. Das Konzert heute Abend im Maschinenhaus hätte ja eigentlich – wie auch dieses Interview – im November stattfinden sollen. Seither habt ihr aber die Tour verschoben, das Studio von New Model Army ist abgebrannt und Nelson (ehem. Bassist von NMA, Anm. d. Red.) hat die Band verlassen. Da müssen wir einfach mal fragen: Wie geht es dir?

Justin: Gut, wirklich. Die Sache mit der Tourverschiebung, das war einfach nur eine private Angelegenheit, um die ich mich kümmern musste. Ich hab vorher noch nie Tour-Daten verschoben, aber dieses Mal musste es sein.

Und die Sache mit dem Feuer, naja ganz ehrlich, Weihnachten war natürlich versaut. Ich habe an Heilig Abend einen Anruf bekommen und jemand sagte mir „Ihr Studio brennt!“ Da bin ich rüber und habs mir zusammen mit dem Hauseigentümer angeschaut, sah die Flammen und die Feuerwehrleute und dachte mir einfach nur „Oh mein Gott!“. Die Sache ist nur: Natürlich konnten wir nicht reingehen, und so drehten sich meine Gedanken am ersten Weihnachtsfeiertag nur um die Frage, was da eigentlich alles drin war im Studio. Am zweiten Feiertag konnten wir immer noch nicht rein und wieder fragte ich mich den geschlagenen Tag lang: Was war da eigentlich nochmal alles drin? Als wir dann endlich ins Studio konnten sah es zuerst mal so aus, als sei alles darin zerstört. Es stellte sich aber heraus, dass ein großer Teil unseres Tour-Equipments noch in Ordnung ist. Die Cases waren alle hin, aber der Inhalt noch intakt. Vor allem bei den Gitarren war es wirklich erstaunlich, die Cases waren komplett geschmolzen und man musste sie mit einem Hammer aufbrechen, aber die Gitarren waren völlig in Ordnung und teilweise sogar noch gestimmt! Meine eigenen vier Lieblingsgitarren haben das Feuer überlebt – also kann ich jetzt wirklich nicht sagen, ich sei der unglücklichste Mensch der Welt (schmunzelt). Sogar meine Tasche mit Songtexten hat es überstanden. Da waren lose Zettel mit Texten aus über zwanzig Jahren Schreiben drin und ich nahm an, die seien alle weg. Aber das waren sie nicht. Natürlich waren sie komplett nass, aber der Großteil davon hat überlebt. Abgesehen davon bin ich bin ich bei materiellen Dingen auch nicht gerade sentimental, niemand wurde verletzt. Viele alte Tapes wurden zerstört – was ich großartig finde, so muss ich mir sie schon nicht mehr anhören.

Mathias: Und was ist mit Nelson?

Justin: Bei Nelson ist die Sache die, dass wir von seinem Austritt bereits seit Oktober letzten Jahres wussten, also schon seit einer ganzen Weile. Er sagte uns damals, dass er bis Weihnachten mit dem Status Quo glücklich sei, dass er gerne Dinge für die Band erledigt, er aber nicht mehr länger als einen Monat von Zuhause weg sein möchte. Das heißt also, ein neues Album aufzunehmen und dabei die ganze Zeit in Bradford zu sein, oder auf Tour zu gehen ist für ihn in der Zukunft einfach nicht mehr möglich. Er hat uns jede Menge Zeit gegeben, um nach einem Nachfolger zu suchen, aber damit haben wir bis heute nicht wirklich angefangen. Dann dachten wir uns auf einmal: Jetzt müssen wir aber mal loslegen mit der Suche! Am besten erschien es uns dann, das Ganze erst einmal öffentlich zu machen, denn zuerst mal muss man die Leute ja wissen lassen, dass New Model Army einen neuen Bassisten sucht. Die Trennung lief von beiden Seiten aus sehr entspannt und freundschaftlich ab, er macht das wirklich nur aus familiären Gründen, da geht es um seine Eltern, die schon recht alt sind und er lebt schließlich mehr als 300 Meilen von Bradford entfernt. Und wenn wir niemand neues finden sollten, dann springt er auch mal spontan für ein Konzert ein.

Ingo: Du scheinst sehr entspannt zu sein. Und wir dachten schon, ihr beide könntet euch womöglich gar nicht auf eure Akustik-Tour konzentrieren.

Justin: Naja ganz ehrlich: So richtig kann ich mich auch nicht darauf konzentrieren. Da gehen gerade so viele Dinge durch meinen Kopf. Aber ich mache mir keine Sorgen, es sind einfach sehr viele Dinge, mit denen man sich beschäftigen muss, woran man denken muss. Wisst ihr, es gab mal eine Zeit, da hatten wir einen Manager – und das ist eben die Sache! 2009 haben wir es mal mit jemandem probiert, der den Platz von Tommy (Tommy Tee, langjähriger Manager von NMA, 2008 verstorben, Anm. d. Red.) einnahm, aber es hat nicht wirklich funktioniert. Also haben wir uns nach ein paar Monaten getrennt und wir managen uns seither selbst, so gut es eben geht. Es ist einfach so, dass NMA wie eine Familie ist und wenn da jemand von außen kommt und das Ganze managen will, dann ist das fast unmöglich. Wir kennen uns gegenseitig einfach schon so lange. Daz, unser Tourmanager macht jetzt eine Menge, Dean macht viel für die Webseite, Michael und ich bringen uns auch ein. Und dann gibt es da noch unsere eigene Plattenfirma, da gibt’s auch jede Menge zu tun.

Mathias: Ist das Touren für euch da wie eine Art Therapie?

Justin: Das Problem ist nicht das Touren, das ist immer großartig und fast wie eine Therapie. Das Schreiben war in letzter Zeit das Problem. Denn um Texte und Lieder zu schreiben brauchst du die andere Gehirnhälfte und bei Männern ist es ja nun mal so, dass sie zwei Dinge auf einmal nicht hinbekommen. Frauen können Multitasking, ich kann das wirklich nicht. Ich kann nicht zwischen den Dingen hin und her pendeln. Um in der Musik aufzugehen, mich darin zu verlieren, muss die eine Gehirnhälfte erstmal zwei oder drei Tage aufhören zu arbeiten. Wenn ich also mal spontan eine Entscheidung in Management-Angelegenheiten treffen muss, dann habe ich mein Gespür für die Musik erst einmal wieder verloren. Im Januar wollten wir eigentlich schreiben und komponieren, aber dann kam uns der Studiobrand dazwischen.

Ingo: Sucht ihr also nach einem neuen Bassisten UND nach einem Manager?

Justin: Nein, tun wir nicht. Das bringt es nicht, es dauert viel zu lange, ihm zu sagen, was er zu tun hat. Also bleibt es wohl erst einmal so, dass wir uns selbst managen müssen. Aber klar, wir müssen uns einen neuen Bassisten suchen und endlich das neue Album schreiben.

Ingo: Gibt’s da schon einen konkreten Zeitplan?

Justin: Nein, eigentlich wollten wir das schon letztes Jahr tun. Aber es wird passieren. Michael und mich macht es etwas unglücklich, wenn wir nicht kreativ sein können. Was das neue Album angeht, werden wir versuchen, da neue Wege zu gehen.

Ingo: Verglichen mit dem, was wir bislang von euch gehört haben?

Justin: Ja. Die letzten drei Alben waren alles Alben, die klangen, als hätte man eine Band in einen Raum gesperrt. Vor allem bei den letzten beiden, High und Today Is A Good Day, wo Marshall mit dabei war. Das sind Rockalben. Und wirklich, sie klingen nach „Hier steht eine Band in einem Raum und spielt.“ Vor allem Today Is A Good Day wurde zum Großteil live eingespielt, wir verwendeten kaum Overdubs und nahmen das komplette Album in einer Woche auf. Bei High war es ähnlich. Aber, das haben wir jetzt eben gemacht und ich möchte das nicht wiederholen. Ich denke, es ist an der Zeit etwas Neues zu machen.

Ingo: Ihr wollt also neue Wege gehen und sucht gleichzeitig einen Bassisten. Wie muss dieser Jemand sein? Was muss er können?

Justin: Keine Ahnung. Das werden wir wissen, wenn er zur Tür reinkommt. Bei Marshall war das nicht anders. Als er hereinkam dachte ich mir sofort, dass das vielversprechend ausschaut. Als er dann anfing Gitarre zu spielen, da wusste ich nach zwei Minuten: Er ist der Richtige. Die Chemie hat einfach gestimmt und das lag noch nicht mal so sehr an seiner Art Gitarre zu spielen. Sein Gitarrenspiel klingt gar nicht so sehr nach New Model Army. Er spielt kantiger als seine Vorgänger, aber er hat das gewisse Etwas.

Ingo: Also kann man sich ab sofort bei euch bewerben?

Justin: Na klar. Er muss natürlich technisch verdammt gut sein, das waren unsere Bassisten immer. Er muss auch andere Instrumente beherrschen, aber das tun eh die meisten Musiker. Und es muss sich so anfühlen, dass er als Person gut in unsere Familie reinpasst.

Ingo: Du sagtest mal, dass es innerhalb der Band keine politischen Machtkämpfe gibt. Muss das auch in der neuen Besetzung unbedingt erhalten bleiben?

Justin: Ja, in den letzten Jahren war das so, vor allem seit Marshall dazugestoßen ist. Das war ausgewogen. Jeder denkt, nur weil ich die Band mit ins Leben gerufen habe und weil ich das meiste Zeug schreibe, sei New Model Army „meine Band“ und was ich will, würde auch geschehen. Aber so ist es wirklich nicht. Es geht nur im Konsens und meistens setzt sich das Bandmitglied durch, dass sich gerade am Stärksten fühlt. Manchmal bin das ich, aber oftmals auch nicht. Nelson war in der Hinsicht sehr interessant, denn er sagte fast immer „Ach, ganz wie es euch gefällt.“, aber dann gab es mitunter auch Situationen, wo er mit voller Inbrunst sagte „Es muss so sein!“ und wir dann gleich klein beigegeben haben. Jeder von uns hat diese Art von „Macht“ innerhalb der Band. Aber vor allem seit Marshall in der Band ist, gibt es keinen festen Pakt oder so. Jeder paktiert mal mit dem einen und umgekehrt. Das war sehr ausgeglichen zwischen uns fünf. So sollte es auch sein. Natürlich streiten und debattieren wir manchmal, aber das ist ok, eine Band die nicht mehr streitet, der ist alles egal. Und uns ist es nicht egal. In seltenen Fällen wird’s auch mal unangenehm, aber wirklich nicht oft. Und es wird nie persönlich, die Auseinandersetzungen drehen sich immer um die Musik.

Mathias: Als wir im Internet recherchierten, konnten wir keine Setliste von dieser Akustik-Tour finden. Also fragen wir uns: Was erwartet die Zuschauer?

Justin: Ich denke, ihr habt mehr Freude am Konzert, wenn ihr euch überraschen lasst. Es ist doch langweilig, wenn man weiß was einen erwartet.

Mathias: Und wie läuft die Tour?

Justin: Es macht Spaß, alles läuft gut. Heute bin ich besonders glücklich, denn der Gig am gestrigen Abend war sehr gut. Mir gefällt was wir tun, denn es ist auf eigene Weise kreativ. Vor der Tour mussten wir für jeden Song erstmal herausfinden, wie wir das zu zweit auf die Reihe kriegen. Manchmal ist das Ergebnis sehr weit von New Model Army entfernt. Was mir außerdem gefällt ist, dass wir während des Konzerts auch mal einen Song dazwischenschieben können. Bei einem New Model Army-Gig haben wir eine Setliste und die rattern wir herunter. Will man mal einen Song dazwischen schieben, weil man das Gefühl hat, das passt gerade gut, so kann man das nur schwer den anderen Mitgliedern schnell genug kommunizieren, zumal es sehr laut ist. Aber bei mir und Dean ist es so, dass wir bei der Hälfte der Konzerte die Setlist während des Gigs ändern. Hier ist es leicht zu sagen: „Lass uns lieber den Song spielen oder lass ihn uns anders spielen“. Außerdem sind wir nur zu dritt und mit meinem Auto unterwegs, das lässt sich leicht organisieren.

Mathias: Ihr spielt nun zum wiederholten Mal im Kesselhaus, bzw. jetzt im Maschinenhaus. Ist das ein besonderer Ort für euch? Wir können uns noch erinnern, wie euch das Publikum hier mal nicht gehen lassen wollte.

Justin: War das hier? Ich dachte, das war im Huxleys. Das ist schon echt komisch in Berlin. Das ist zwar auch schon in anderen Städten vorgekommen, aber hier hat's uns echt überraschend getroffen. Mit der Band haben wir hier (im Kesselhaus, Anm. d. Red.) zwei Mal gespielt, glaube ich, und es waren wirklich gute Konzerte. Beim letzten Mal kam ich hier hoch ins Maschinenhaus und dachte mir, dass das ein wirklich guter Ort für ein Konzert ist, wenn auch etwas seltsam, denn die Bühne ist fast so groß wie der Bereichs fürs Publikum. Die Leute werden wohl etwas gequetscht dastehen.

Ingo: Warum geht ihr beide in dieser Konstellation auf Tour?

Justin: Hm, gute Frage. Weil es kreativ ist. Wir haben mal ein paar Shows zusammen gegeben und danach dachten wir uns, dass das gut funktioniert hat. Irgendwie haben wir ein gutes Gefühl dabei, auch wenn wir das nicht zu häufig tun wollen. Mir persönlich wurde das Touren bis heute nicht langweilig, im Gegensatz zu den meisten anderen Musikern, die nach 30 Jahren jammern:„Oh, das Touren, oh, immer die gleichen Hotels, oh, immer die gleichen Flughäfen“ – ich liebe das! Immer noch! Also dachte ich mir einmal, dass ich, Dean und Daz eigentlich von 1. Januar bis 31. Dezember touren könnten, zumal es so billig ist, das wir überall hingehen können. Mit New Model Army ist das schon schwieriger, weil man da eine ganze Reihe von Leuten bezahlen muss, das macht die Sache kompliziert. Mit dieser Show hingegen kann man jederzeit überall hingehen. Aber: Wir waren bislang nie mehr als einen Monat am Stück unterwegs, sonst würde es sich irgendwie abnützen.

Ingo: Hattet ihr schon die Gelegenheit, nachts in der Autobahnraststätte zu sitzen, Kaffee zu trinken und Zigaretten zu rauchen (wie in Tales of The Road besungen)?

Justin: Nee, ich rauche nicht mehr. Es ist dort ja auch gar nicht mehr erlaubt. Eigentlich bin ich schon noch Raucher, aber zur Zeit habe ich es mir abgewöhnt. Ich mag das Rauchen, es schmeckt gut und macht Spaß. Aber, man fühlt sich dadurch krank und außer Atem und das hasse ich. Also höre ich es immer wieder auf, um es dann doch wieder anzufangen. Aber es ist meine einzige Sucht, ich habe nie viel getrunken. Ich muss auch sagen, in der Autobahnraststätte macht es mehr Spaß, wenn wir mit NMA oder Red Sky Coven touren, weil da einfach mehr Leuten mit dabei sind. Außerdem verbringen wir mit Red Sky Coven so wenig Zeit miteinander, dass das Touren immer was Besonderes ist. Gerade Rev (Rev Hammer, Anm. d. Red.) sehe ich selten und mit ihm und Joolz zusammen ist es immer großartig. Das müssen wir bald mal wieder tun.

Mathias: Was uns schon immer interessiert hat, Hits wie Green And Grey, 51st State oder Vagabonds, spielt ihr die eigentlich, weil ihr die Lieder selbst noch so sehr mögt, oder weil das Publikum diese Lieder von euch erwartet?

Justin: Eigentlich ist es so, dass wir die gar nicht immer spielen. Bei den Jubiläums-Shows zum dreißigjährigen Bestehen schon, war ja schließlich die Feier zum 30. Wir haben ungefähr zehn große Songs, die alle Leute hören wollen und wir wissen, wir müssen etwa drei oder vier davon spielen.

Ingo: Spielt ihr manchmal auch gar keine davon?

Justin: Bei der England-Tour letzten Oktober schon. Es ist ok, wenn wir sie mal nicht spielen. Vorausgesetzt, wir spielen sie beim nächsten Mal wieder. Da wir aber nicht den einen großen Hit haben – was übrigens furchtbar sein muss, wenn man nur einen großen Hit und sonst nichts hat – gibt es auch keinen Song, den wir wirklich immer spielen. Wir spielen nicht immer Green And Grey, 51st State usw. Vagabonds zum Beispiel haben wir jahrelang gar nicht gespielt, bis Marshall kam und meinte „Das kann ich“.

Mathias: Wann spielt ihr denn endlich mal Far Better Thing?

Justin: Nie.

Mathias: Warum?

Justin: Ich weiß auch nicht so recht. Das Problem ist wohl, dass ich das letzte Bandmitglied aus der Zeit bin, in der der Song entstand. Auch wenn es für mich interessant ist, mich mit den alten Liedern zu beschäftigen. Aber es ist nun mal so, dass immer die Lieder am interessantesten sind, in denen die eigene Kreativität drinsteckt. Wenn ich also sage „Lasst uns etwas vom Ghost of Cain-Album spielen.“, dann sagen die anderen „Ok, tun wir“, aber sie wollen das nicht so richtig, weil da nicht ihre eigene Kreativität drinsteckt. Ich verstehe das.

Mathias: Du sitzt hier zusammen mit zwei absoluten Meeresliebhabern.

Justin: (unterbricht) Sehr gut. Und wisst ihr was: Gestern Abend kam jemand zu mir und meinte: „Ich bin echt glücklich, dass du politische Songs, aber auch Songs über das Meer gespielt hast“. Ich sagte „Freut mich, dass es dir gefallen hat.“ Aber dann kam eine Frau zu mir und meinte: „Hast du dein Gespür für Politik verloren? Die vielen Lieder über das Meer, warum tust du das? Grauenhaft!“ Offenbar sind die Geschmäcker verschieden (lacht).

Mathias: Surfst du denn immer noch?

Justin: Selten. Ich bin ehrlich gesagt ein wirklich schlechter Surfer. Als ich mal wieder surfen war, dachte ich mir jedes Mal, wenn ich vom Brett fiel, dass sich das super anfühlt. Das einzige, was dabei echt Angst einflößt, ist die Tatsache, dass man nicht weiß, ob einem das verdammte Brett auf den Kopf schlägt. Also dachte ich mir: Vergiss das Surfbrett! Lass das Surfbrett an Land, lass den Neoprenanzug an Land, geh raus und schwimm an die Stelle, wo die großen Wellen brechen und lass dich von ihnen niederschmettern. Mittlerweile gefällt mir das besser, es ist wirklich gut.

Mathias: Wo ist dein Lieblingsspot?

Justin: Cornwall. Die Nordküste dort.

Mathias: Ziemlich kalt, oder?

Justin: Naja, letzten März habe ich den Fehler begangen, ohne Neoprenanzug reinzugehen. Das war saukalt! Aber im Sommer hält man es schon eine halbe Stunde aus im Wasser. Bist du ein guter Surfer?

Mathias: Nee, aber ich mach es leidenschaftlich gerne.

Justin: Kann ich gut nachvollziehen. Naja, jedenfalls bin ich gerne im oder am Meer. In den frühen Neunzigern, also vor Strange Brotherhood (NMA-Album von 1996, Anm. d. Red.), überlegten Joolz und ich – damals hatte ich etwas Geld –, ob wir vielleicht gemeinsam ans Meer ziehen und dort ein Haus kaufen sollen. Wir dachten, wir beide lieben das Meer, also lass es uns tun. Aber es gab zwei Dinge die uns abhielten: Erstens hatten wir nicht wirklich genug Geld (und nach Strange Brotherhood hatten wir nie wieder viel Geld). Das andere ist, dass die Menschen auf dem Land zwar nette Menschen sind, aber eben auch sehr ländlich geprägt und zum Teil auch rassistisch. Ich weiß noch, wie mir Robert (Robert Heaton, ehem. Schlagzeuger von NMA, Anm, d. Red.) einmal erzählte, dass er für sich ein Haus auf dem Land gefunden hat. Gegenüber von dem Haus gab es einen Pub und Robert mochte es, im Pub einen trinken zu gehen. Also ging er hinein und er dachte „Super, genau was ich will!“. Er fing an sich mit den Einheimischen zu unterhalten und sie fragten ihn, wo er herkommt. Also sagte er „Ich lebe in Bradford“ und sie antworteten ihm: „Oh, das ist dort, wo die ganzen verdammten Pakistanis sind.“ Und er dachte sich nur: Hier will ich nicht leben! Und da gibt’s noch was: Ich kenne eine Menge Musiker, die gutes Geld verdienen und sich ihr Traumhaus gekauft haben, auf dem Land, oder am Meer und meistens mit einem Aufnahmestudio darin. Und ab da hörten sie einfach auf. Sie hatten das, was sie wollten. Musik entsteht aber durch Verlangen und sonst nichts. Alle meinen, ich hätte mein Soloalbum produziert, während ich damals den Atlantik überquert habe. Oh nein! Ich machte dieses Album über das Meer in Bradford, wo ich mir das Meer herbeisehnte. Es sind der Wunsch und das Verlangen, die die Musik entstehen lassen. Und es ist wirklich so, dass Menschen die bekommen haben, was sie wollten, kein Verlangen mehr in sich haben. Aber der Wunsch irgendwo zu sein, wo es schöner ist, bringt dich zum Arbeiten. Ich liebe das Surfen und ich liebe das Meer, aber nichts verschafft mir so viel Genugtuung, wie etwas herzustellen.

Ingo: Musik herzustellen?

Justin: Ja. Einen guten Gig abzuliefern oder einen Song zu schreiben – nichts anderes gibt mir mehr Genugtuung.

Vielen Dank an Ingo Schmidt und Mathias Muchenberger für dieses Interview!!!

Autor: Ingo Schmidt und Mathias Muchenberger

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